Muskelverspannung und Faszienkontraktion

Florian Mühlböck  - 27.04.2023

Foto: BigBlueStudio/shutterstock.com

Muskelverspannung: Wie Faszien und Muskeln "verspannen"

Wenn jemand Muskelverspannungen hat sollte er diese eigentlich als Gewebeverspannungen bezeichnen. Das Wort Gewebespannung erinnert vielleicht manche eher an das Hissen eines Segels. In Wirklichkeit geht es dabei aber um das Weichteilgewebe im (menschlichen) Körper, also Muskel-, Fett- und Bindegewebe (inklusive Fasziengewebe) ohne den harten Knochen. In diesem Beitrag schauen wir uns zuerst einige (Spannungs-)Eigenschaften von Muskeln und Faszien an und dann wie sie zusammenarbeiten und warum sie häufig der Grund für Schmerzen sind. 

Weichteilgewebe als Einheit von Faszien und Muskeln

Für das Bewegungssystem ist die Einheit aus Muskelgewebe und Fasziengewebe zu betrachten. Diese zwei unterschiedlichen Gewebetypen (verschiedene Zelltypen) ergänzen sich funktionell in einer komplexen und interessanten Art und Weise:

Muskelgewebe ist der aktive Teil des Körpers 

und definiert unsere Bewegungsfähigkeiten. Es wird gut durch Blut versorgt, ist deswegen rot und somit direkt mit dem Herzkreislaufsystem in Verbindung zu sehen. 

Es gibt verschiedene Typen von Muskelfasern die meistens durch ihre Kontraktionsgeschwindigkeit in drei Typen (schnell, langsam, Mittelding) eingeteilt werden. Langsame Fasern sind besonders ausdauernd und schlank während die schnellen dicker sind und für den kurzen und intensiven Einsatz dienen. 

Eine Bewegung kann bewusst ausgeführt werden da die zuständigen Muskelgruppen zur Kontraktion fähig sind. Aber auch ein einfaches Halten erzeugt eine Muskelspannung, jedoch ohne sich zusammen zu ziehen. Man spricht hier von isometrischer Kontraktion.

Faszien - das zugfeste Gewebe mit vielen Gesichtern

Wie vielfältig dieses Gewebe ist spiegelt sich schon etwas beim Versuch der Definition wieder. Denn so ganz eindeutig war bzw. ist diese immer noch gar nicht. Genau aus diesem Grund wurde von der Fascia research society der Begriff fasziales System begründet: Dieses fasziale System schließt verschiedene Arten von Bindegewebe ein das sich durch den gesamten Körper in unterschiedlicher Qualität und Größe zieht. Es schließt vor allem auch Bänder, Gelenkskapseln aber auch Fettgewebe, die Hirnhäute, fasziale Hüllen um Gefäße und Nerven sowie noch weitere Strukturen ein.

Bei therapeutischen Zwecken wird meist hauptsächlich der Faszienbegriff im engeren Sinne angesprochen der die Hüllen und Häutchen um Muskel(gruppen) oder -fasern und Organe meint. Es handelt sich somit um durchaus unterschiedlich starke Bindegewebsstrukturen.

Von den durchsichtigen, hauchdünnen Häutchen um einzelne Fasern innerhalb der Muskeln bis hin zu den dichteren und weißlicheren Umhüllungen um den sicht- und spürbaren Muskeln herum. Durchblutung gibt es kaum bzw. gar nicht, dafür sehr viel frei eingeschlossene „Gewebsflüssigkeit“.

Vor allem wenn man Bewegungsabläufe und Schmerzsymptome (einschließlich Muskelverspannung und -schmerzen) betrachtet die ihre Ursache nicht an der Schmerzstelle haben ist es besonders wichtig an das gesamte zusammenhängende Netz zu denken.

Allgemeine Unterschiede und wie die Gewebe zusammenhängen

Betrachtet man einen großen Muskel im Detail wird gut sichtbar, dass Muskeln und Faszien direkt ineinandergreifen. Ihr Aufbau und ihre Eigenschaften sind aber sehr unterschiedlich. Während Muskelgewebe durch Kontraktionen willentlich Bewegungen ausführen kann und sehr gut mit Blut versorgt wird ist Fasziengewebe nicht willkürlich zusammenziehbar und die vorherrschende Gewebsflüssigkeit ist durchsichtig und zirkuliert frei umher. 

Besonders gut können Faszien Zugkräfte aufnehmen. Sie übernehmen deshalb die Übertragung von Kräften die bei gewissen Haltungen und insbesondere Bewegungen entstehen. Das Fasziengewebe ist also straffer, dünn und nimmt Zugkräfte auf oder leitet diese weiter, kann aber in sehr geringem Ausmaß auch kontrahieren.

Wer eine technische Sicht der Dinge hat kann sich dieses System wahrscheinlich gut als Verbundstoff vorstellen. Wie etwa bei Carbon-Bauteilen oder Stahlbeton nehmen die Faszien (Stahlstäbe/Carbonfäden) die Zugkräfte auf und die Muskulatur füllt sozusagen den restlichen Volumenanteil aus. Mit dem großen Unterschied natürlich, dass die Muskeln aktiv kontrahieren können.

Struktur von Stahlbeton als Beispiel für Faszien und Muskelgewebe
Bild von Lutz Peter auf Pixabay

Muskelkontraktion, Anspannung, Muskelverspannung

Wie vorher erwähnt werden Muskelfasern nach ihrer Schnelligkeit und Ausdauer unterschieden. Besonders schnell bedeutet hier den Einsatz im Sekundenbereich (z.B. sprinten) und ausdauernd im Stundenbereich (z.B. gehen, Radfahren).

Ein sehr lange andauernder Einsatz der Muskulatur bedeutet aber nicht eine durchgehende Kontraktion über mehrere Stunden, sondern die Fähigkeit immer und immer wieder zu kontrahieren. Zum Beispiel hundert Mal in der Sekunde bei einem gleichmäßigen Tritt am Fahrrad mit ebenso kurzen Pausen dazwischen.

Für die aktive Muskelkontraktion wird Energie benötigt!

Im Wachzustand hat unser Körper stets eine gewisse Grundspannung in der Muskulatur ("Muskeltonus"). Unter Anspannung versteht man im Allgemeinen eine erhöhte Aktivität des Nervensystems wie sie zum Beispiel in Verbindung mit Nervosität bekannt ist. Häufig geht damit aber auch eine körperliche Anspannung, also ein erhöhter Muskeltonus einher. Solange das auf einen gewissen Zeitraum beschränkt bleibt, ist es eine durchaus normale und sinnvolle körperliche Reaktion.

Über lange Zeit oder bei häufiger Anspannung liegt dann aber eine dauerhafte (chronische) Erhöhung des Muskeltonus vor. Und das mit möglichen Konsequenzen auf das fasziale Gewebe (mehr dazu unten). Eine Methode um selbstständig erhöhte Muskelspannungen zu lösen findest du im Beitrag zur progressiven Muskelentspannung.

Besonders wichtig zu verstehen: Die Grenze zwischen normal und zu hoch ist fließend. Um beispielsweise aufrecht zu stehen ist eine bestimmte Spannung im Körper nötig. Jede weitere Verstärkung der Kontraktion ist somit eigentlich überflüssig. Da der Vorgang des Stehens aber automatisch, ohne darüber nachzudenken, funktioniert, merken wir etwas mehr Grundspannung nicht unbedingt. Im Stehen zwei Sandsäcke mit 20 Kilogramm Gewicht auf den Schultern zu haben hingegen spürt jeder und jede sofort. Früher oder später kommt es zur Ermüdung weil die Spannung der Muskulatur erhöht ist und Energie benötigt. 

Kommt es zu besonders starken und regelmäßigen Anspannungsmustern kann sich einerseits die Struktur der Muskelfasern ändern indem sich beispielsweise einzelne Muskelstränge verhärten und einzelne, spürbare Stränge ausbilden. Diese werden dann je nach Ausprägung oft als Hartspann, Rigorkomplexe, Tenderpunkte, Myogelose, Gelose u.a. bezeichnet. Das ist dann in der Regel schmerzhaft, kann bei Druck ausstrahlen oder man fühlt sich eben verspannt.

Die Intensität, Großflächigkeit und Beständigkeit ist dabei höchst individuell. Besonders häufig äußert sich das auf Dauer dann in Nacken- oder Rückenschmerzen, kann wie gesagt aber in allen Körperregionen auftreten. Manche Beschwerden lösen sich von selbst oder mittels simpler Maßnahmen, andere können über Jahre chronisch bestehen. Man sieht wiederum, dass die Grenze zur Muskelverspannung und zu plötzlich auftretenden Schmerzen recht fließend ist.

Fasziale Kontraktion und Verdichtung

Neben dieser muskulären Kontraktion kann aber auch das Fasziengewebe seinen Spannungszustand innerhalb von Minuten ändern. Man hat experimentell herausgefunden, dass gewisse Botenstoffe dazu führen. Diese Kontraktion liegt dabei aber im minimalen Bereich (nicht optisch wahrnehmbar). Bestehen aber mechanische Reize über Tage bis Monate so kann es zu einem Umbau („remodelling“) des Fasziengewebes kommen was dann dauerhaft eine merkliche Versteifung mit sich bringt.

Die für die erste Kontraktion verantwortlichen Botenstoffe sind Zytokine die besonders bei Entzündungsprozessen ausgeschüttet werden. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass durch die Hemmung dieser Stoffe in der Gewebeumgebung weniger Versteifungen auftreten. Einen Einfluss darauf hat hier beispielsweise auch die Ernährung. So gelten manche Lebensmittel eher als entzündungsfördernd oder – hemmend. Ein weiterer wichtiger Faktor der als „versteifend“ angenommen wird ist Stress.

Durch eine dauerhafte Kontraktion der Muskulatur, auch nur in geringerem Ausmaß, wird auch die in Verbindung damit stehende Faszie weniger bewegt und dadurch zur „Verfilzung“ tendieren. Unter Verfilzung wird dabei eine Veränderung der Faserstruktur verstanden die von einem Gittermuster zu einer ungeordneten Struktur mit zahlreichen kleinen Querverbindungen („crosslinks“) übergeht.

Grundsätzlich ist der Körper ziemlich clever und macht normalerweise nur das was wir von ihm fordern. Er passt sich immer an die Gegebenheiten an, also in unserem Falle versteift er (faszial) wo keine Bewegung passiert weil diese spezifische Beweglichkeit offensichtlich nicht benötigt wird. Wenn dauerhafte oder wiederholte Kontraktion in gewissen Körperbereichen vorkommt, verstärkt (verdichtet) er das Gewebe um besser an die Anforderung angepasst zu sein.

Die dauerhafte Veränderung betrifft insbesondere das Fasziengewebe durch seine Kontraktion bzw. Versteifung und damit langfristig die Körperhaltung.

Muskuläres Wachstum betrifft äußerlich natürlich die Volumenszunahme ("Hypertrophie" genannt) und nimmt i.d.R. wiederum schneller ab. Der Muskelkater nach intensiver Belastung fühlt sich auch wie eine Muskelverspannung oder -steifigikeit an. Er liegt aber an winzigen Einrissen in den Muskelfasern und regeneriert innerhalb einiger Tage wieder.

Fasziale Spannung und unser vegetatives Nervensystem

Es konnte herausgefunden werden, dass durch die verstärkte Anregung des Sympatikus (Teil des vegetativen Nervensystems welches für Aktivität und erhöhte körperliche Bereitschaft zuständig ist) genau dieselben Zytokine ausgeschüttet werden wie diejenigen die Faszien zur Kontraktion bewegen. Einflüsse wie Stress oder Ängste sind dafür bekannt den Sympatikus anzuregen.

Stress und fasziale Anspannung
Foto: Liza Summers/Pexels

Auch wenn noch vieles unbekannt ist, scheinen insbesondere monotone und haltende Tätigkeiten und Stress zur faszialen Versteifung zu führen.

Solche monotone Bewegungsmuster entsprechen meist den Ursachen für „repetitive strain injuries“. Darunter werden Schmerzsyndrome verstanden die durch immer wieder gleiche Tätigkeiten, meistens im Berufsleben, ausgelöst werden. Darunter fallen auch bekannte Bezeichnungen wie der Maus-Arm, Tennis-/Golferellenbogen, SMS-Daumen, Schnappfinger, Varianten der Tendinitis (Sehnenentzündungen) und viele andere Beschwerden.

Zusammenfassende Gedanken zu faszialer und muskulärer Spannung

Vereinfacht gesagt passiert beim Fasziengewebe im Vergleich zum Muskelgewebe alles langsamer bzw. über längere Zeiträume: die geringfügige Kontraktion, die Versorgung, Umbau und Regeneration. Das heißt, dass Verklebungen und Verdichtungen und daraus entstehende Schmerzen oder Einschränkungen in der Regel nicht von heute auf morgen entstehen. Im Umkehrschluss dazu, dauert aber auch der Rückbau seine Zeit sobald es einmal dazu gekommen ist. Selbes gilt für das Training neuer oder intensiverer Tätigkeiten (z.b. neue Sportarten) die besonders fasziale Strukturen ansprechen.

Je mehr es den faszialen Anteil im Gewebe betrifft umso länger benötigen die Beschwerden in der Regel um sich zu regenerieren. Deshalb sind beispielsweise Probleme bei Schwimmern sehr selten und meist von kurzer Dauer, bei Läufern länger andauernd (z.B. Achillessehnenbeschwerden) und beim Sportklettern (Sehnen- und Bandverletzungen der Arme und Finger) oft besonders langwierig.

Tendenziell sind kurzfristige, schnell auftretende Anspannungen eher muskulärer Natur. Beispielsweise die „Anspannung“ die man verspürt wenn man kurz vor dem ersten Schwung einer steilen Skiabfahrt oder der alles entscheidenden Jahresbesprechung in der Firma steht. Ist die Aufgabe gemeistert lassen die Muskeln wieder locker und man fühlt das erleichternde Entspannungsgefühl. 

Oder die Muskelverspannungen die man nach langer Arbeit mit vorne übergebeugtem Oberkörper im Rücken spürt. Muskelarbeit benötigt immer Energie und ist somit eine aktive Komponente.

Faszialer Umbau hingegen dauert länger und kann vielleicht am besten als Reaktion auf die Summe der Tätigkeiten, sportlichen Vorlieben, Haltungen aber auch unserem Ernährungsstil und Psyche verstanden werden. Einmal verändert bleibt das Fasziengewebe auch längerfristig in diesem Zustand und kann deshalb wohl eher als passiv bezeichnet werden.

Gewebespannung und Therapie

Kenntnisse zu den Eigenschaften unterschiedlicher Gewebetypen sind essentiell. Daraus lassen sich für die Therapie wichtige Behandlungsmuster ableiten. Zum Beispiel in puncto Behandlungsintensität und -geschwindigkeit sowie -häufigkeit. In Summe ist es jedoch auch besonders wichtig immer das Gewebe in seiner Gesamtheit zu betrachten da sich an vielen Stellen muskuläre und fasziale Verbindungen gar nicht getrennt behandeln lassen. Und wie der Beitrag auch dargestellt hat beeinflussen sich die unterschiedlichen Gewebetypen gegenseitig stark. 

Häufig lässt sich eine reine Muskelverspannung von flächigen Schmerzen oder faszialen Verfilzungen und Einschränkungen nicht klar unterscheiden und abgrenzen. Die Bezeichnung myofaszialer Schmerz ist dann viel treffender. Übrigens findest du auf der Seite Wie entstehen Schmerzen? Näheres zur Schmerzentstehung. 

Reine Muskelverspannungen verschwinden in der Regel am besten durch alle Maßnahmen die die Regeneration fördern (Durchblutungsförderung, Entspanung, Ausgleich, lösende Behandlungen der Muskulatur). Fasziale Verklebungen hingegen benötigen andere Behandlungsformen wie die der manuellen Schmerztherapie und oft längerfristige aktive Bewegungsreize um das Gewebe wieder neu auszurichten.

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